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Fernsehen als Beruhigungsmittel

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Die Künstlerin Ren Saibara hinterfragt das japanische Vertrauen in Atomenergie

Neues Deutschland | 27. März 2013

Von Christin Odoj

Am 11. März 2011 schmolz das Vertrauen dahin. Eigentlich war es bereits seit Jahrzehnten porös, veraltet und schlecht gewartet. Aber der Glaube, Atomenergie wäre der sicherste und sauberste Antrieb einer ewig wachsenden Wirtschaft, war so groß, dass kaum jemand an ihr zweifelte. Nur wenige hatten es gewagt, doch sie wurden vom konstruierten Schweigen geschluckt. Atomenergie in Japan, das hatte man den Menschen beigebracht, bedeutet Fortschritt, Wohlstand, Wachstum, Unabhängigkeit. Nicht Notabschaltung, Kernschmelze, Strahlung.

Zwei Jahre nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima Daiichi blickt die japanische Performance-Künstlerin Ren Saibara im Theaterforum Vierte Welt am Kottbusser Tor ernüchtert auf ihr Land zurück, in dem sie selbst mit einem Urvertrauen gegenüber der Atomkraft aufgewachsen ist. Jetzt hockt sie Schutz suchend in einem kleinen weißen Holzkasten, hinter ihr flackern die Wörter »Cäsium 137«, »Super-GAU«, »11. März« und »Meeresrauschen« im Stakkato auf einer Leinwand auf. Vergessen wäre so leicht.
Ren Saibara ist die einzige Darstellerin in dem von ihr konzipierten Stück »Das Schweigen. Eine subjektive Untersuchung der Gründe zu schweigen«, das am vergangen Freitag Premiere hatte. Die Bühne ist ein steriler weißer Raum, Ort ihrer Kindheit, Jugend, Gegenwart, einzig durchbrochen von einer Tomate, die auf Saibaras Refugium liegt und trotzig vor sich hin strahlt gegen all das Normierte, Traditionelle der japanischen Gesellschaft. Im Laufe der knapp einstündigen Aufführung erzählt sie eine Episode aus ihrer späten Jugend. Dabei steht sie starr, das weiße Hemd, die schwarze Stoffhose werden zur Uniform, die Arme eng am Körper angelegt: Als sie eines Abends im Haus der Familie mit Bauchschmerzen zusammenbricht, ruft ihre Mutter den Notarzt, bittet ihn aber, das Blaulicht und die Sirene auszuschalten. Die Fragen der Nachbarn wären unerträglich. Ihre Tochter, womöglich schwanger, ohne Mann. »Ächtung«, »Unsittlichkeit« – nur zwei der Wörter, die mittels einer Videoinstallation der deutsch-japanischen Künstlerin Lea Nagano in Röhrenfernsehern auf der Leinwand erscheinen.
Das Fernsehen ist für Saibara allgegenwärtig, bestimmt Meinung, manifestiert Konventionen. Ein Medium das, so wird schnell klar, seit seiner Erfindung das wirkungsvollste Beruhigungsmittel der Masse Mensch ist. Rund um die Uhr lenken Varietéshows, Ratgeber oder Samurai-Dramen vom Leben ab, dazwischen alle 15 Minuten für 45 Sekunden Werbung. Ab und an bricht Saibara die weichmachende Dominanz des Fernsehens auf und zeigt Fotos von Demonstrationen aus den 60er und 70er Jahren als Studenten gegen den »ampo«, einen Vertrag über gegenseitige Kooperation und Sicherheit zwischen Japan und den USA, auf die Straßen gingen. Im Fernsehen kamen die Proteste kaum vor, stattdessen waren Berichte über die Weltausstellung 1970 in Osaka zu sehen. Saibara zeigt Originalaufnahmen von Blumenmädchen, die tanzend auf einer Wiese herumspringen.
Sie lässt gern Extreme aufeinanderprallen, Sichtbares gegen Unsichtbares. Sie kommentiert die Szenen, im schlimmsten Fall wird sie zynisch (»Wieder sind die Leute auf der Straße, wieder hat es nichts gebracht«). Ohne ihre Einwürfe wäre der Zuschauer sehr allein, so wie er es vor dem Fernseher ist.
In Japan wurde kurz nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima der Comic »Nuclear Boy« gezeigt, eine Parabel auf den Super-GAU, in dem die Hauptfigur mit Flatulenzproblemen zu kämpfen hat und seine Umwelt mit Gasen belästigt. Durch die Hilfe der Ärzte aber, lautet die Botschaft, ist das Problem schnell behoben. Das Fernsehen züchtet, so Saibaras düsteres Fazit aus dem Off, kontinuierlich eine »Generation der Indifferenten« heran. Die Verantwortung der Regierung und anderer Institutionen, die kritische Wissenschaftler, Journalisten und Künstler nicht zu Wort kommen lassen, geht in der Medienschelte etwas unter. Die Anti-AKW-Demonstrationen und eine Sammelklage gegen den japanischen Energiekonzern Tepco aber sind zaghafte Zeichen eines lauten kritischen Denkens, wie es sich Saibara wünscht.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/817034.fernsehen-als-beruhigungsmittel.html

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